Das erste Mal passierte es kurz vor meinem 28.
Geburtstag. Ich hatte bereits einige Jahre Erfahrung mit Meditation, hatte mich
intensiv mit spirituellen Lehren beschäftigt, und nahm an einem 10 Tages
Retreat mit strengem Schweigen, Fasten und Zen Meditation teil. Sowohl auf
theoretischer als auch auf praktischer Ebene übten radikale Zugänge schon immer
eine große Faszination auf mich aus. Als Jugendlicher lag der Fokus dabei mehr
auf Musik und Sport. Nach einem Marathon im Alter von 20 ließ mein Interesse in
diesem Bereich nach – es zog mich nicht mehr, weitere sportliche
Höchstleistungen zu vollbringen – und verlagerte sich auf Weisheitslehren und
den spirituellen Weg.
Mit nicht weniger fordernden Praktiken. So hatte ich nun
bei diesem Retreat seit 7 Tagen nichts gegessen, mit niemandem gesprochen, und
täglich von 6 Uhr früh bis 22 Uhr abends, mit kurzen Pausen, in Zen Haltung
meditiert. Es passierte nicht während der Meditation, sondern in der
Mittagspause. Ich saß in der Natur, die Sonne strahlte mir ins Gesicht und ich
genoss die Wärme auf meiner Haut. Als ich die Augen schloss, begann sich von
innen heraus ein Gefühl von Einheit mit allem um mich herum auszubreiten, ein
Gefühl einer grenzenlosen Liebe und Verbundenheit. Ich hatte das Gefühl, immer
tiefer und tiefer in dieses Bewusstsein einzutauchen, das Gefühl eines
eigenständigen Ichs verschwamm mit einem unendlichen Bewusstsein ohne Raum und
Zeit. Aufgehoben und getragen, eins mit dem Universum, alles enthalten, alles
jetzt!
Als ich wieder in das Alltagsbewusstsein
zurückkam, war ich überzeugt, Erleuchtung erlebt zu haben. Ich hatte keinen
Zweifel, in die tiefsten Wahrheiten des Universums eingetaucht zu sein. Nichts konnte dem, was ich gerade erlebt hatte
noch irgendetwas hinzufügen. So wie viele andere auf dem spirituellen Weg, die
ihre Erkenntnisse und Erfahrungen zu einem guten Teil in Eigenregie ordnen und
verarbeiten, sah ich auch keinen Anlass, mit jemand über meine Erfahrung zu
reden. Was sollte mir denn
noch jemand erzählen, hatte ich doch der Wahrheit direkt ins Auge gesehen.
Zufällig kam es so, dass die Themen und
Aufgaben in meinem Leben sich durch meine Erfahrung nicht aufgelöst hatten.
Allerdings gab ich ihnen nun nicht mehr so große Bedeutung. Was viel mehr zählte war, auf dem spirituellen Weg weiter zu
gehen. Das Bewusstsein von Einheit und Liebe zu vertiefen. Tiefer in die
Wahrheit einzutauchen.
In den folgenden Jahren waren
Klosteraufenthalte und Meditationsseminare ein zentraler Fokus in meinem Leben.
Die erste Einheits-Erfahrung wurde erweitert durch mehrere ähnliche und
noch intensivere Erlebnisse, die sich auch über längere Zeiträume ausdehnten. Die
Erfahrung dieser Zustände von absoluter Glückseligkeit, der Freiheit von Angst
und Zweifeln, in denen sich auch alle Fragen auflösen, hinterließen tiefe
Abdrücke in meiner Sicht auf die Welt, und bildeten einen Hintergrund, vor dem
ich dem Theater des Lebens nicht mehr so große Bedeutung gab. In mir war die
Gewissheit verankert, dass dieses Spiel der Formen nur von sehr relativer
Bedeutung, und im Vergleich zu der Realität, die ich erlebt hatte, nur ein
blasser Schatten war.
Daneben arbeitete ich – mit Unterbrechungen –
weiterhin als Jurist und Unternehmensberater, und versuchte meinen Aufgaben als
Vater von zwei Söhnen gerecht zu werden. Sowohl die beruflichen als auch die
familiären Aufgaben kosteten mich viel Anstrengung und ich fühlte mich davon
immer wieder überfordert. Einerseits
empfand ich es so, immer tiefer in die Mysterien des Lebens einzutauchen, gleichzeitig
wurde ich im Alltag immer durchlässiger, feinfühliger, und weniger belastbar.
Obwohl mir das auch als Problem bewusst war, fand ich keinen Weg, die
spirituelle Ebene mit der praktischen Alltagsebene in Einklang zu bringen.
Da ich die Gefahr sah, meinen Lebensalltag mit all seinen Aufgaben nicht zu bewältigen, beschäftigte ich
mich in der Folge mehr mit praktischen, weltlichen Aspekten des Lebens. Das
Spirituelle trat weit in den Hintergrund, ich las keine spirituellen Bücher
mehr, besuchte keine Seminare und hörte auch auf zu meditieren.
Meine Sehnsucht nach Integration führte mich
zum Freien Tanzen, das mich stärker in meinen Körper und zurück auf den Boden
brachte. So viel hatte ich über die Bedeutung des „Jetzt“ gehört, verstanden
und in der Meditation auch erfahren, und im Tanz erlebte ich nun eine völlig
neue Dimension des „Jetzt“: Ganz in meinem Körper, auf dem Boden, mit allen Einschränkungen
und in Kontakt mit anderen Menschen.
Auch auf der Beziehungsebene veränderte sich
einiges. Nach über 2 Jahren einer zölibatären Haltung, in der ich die
„fleischlichen Genüsse“ als Ablenkung vom Wesentlichen betrachtete, und mir
sehr gut vorstellen konnte, weiterhin ein mönchisches Leben zu führen, folgte
nun eine Phase intensiver Erfahrungen mit Beziehungen. Statt zölibatär lebte ich nun
über längere Zeiten polyamor, also in Beziehung mit mehreren Frauen. Ohne
Vorbehalte, ohne Geheimnisse, ohne begrenzende Konzepte. Von außen betrachtet
könnte man sagen, von einem Extrem zum anderen. Was ich natürlich, wie auch bei
meinen sonstigen Erfahrungen, nicht so sah.
Während der 7 Jahre meiner Ausbildung für
Integrative Therapie konnte sich vieles in mir ordnen und manches integrieren. Mittlerweile
bin ich auch aus der spirituellen „Abstinenz“ wieder zu einer interessierten
Beschäftigung und auch zur Meditation zurückgekehrt.
Vielleicht können die Erfahrungen, die ich in diesen
mehr als 20 Jahren im spirituellen und therapeutischen Bereich gemacht habe,
für viele Menschen auf ihrem Weg genau die Begleitung und Orientierung geben,
die ich selbst zwar nicht hatte, mir aber sehr hilfreich gewesen wäre.